Muss man sich das antun? Bei dieser Hitze aufs Motorrad steigen und nach Frankreich fahren? Dazu noch, um über alte Schlachtfelder aus dem 1. Weltkrieg zu wandern und um Zeit in stickigen Museen bei 40 Grad im Schatten zu verbringen? Oder sollte man nicht doch besser an den kühlen Badesee um die Ecke...?
Aber geplant ist geplant. Ein bisschen die Geschichtskenntnisse auffrischen kann ja nicht schaden. Früher in der Schule furchtbar langweilig, aber vor Ort, zum Anfassen vielleicht eine Reise wert.
Also starten wir am heißesten Wochenende des Jahres nach Verdun. In Satteltaschen der Honda Shadow einen militärhistorischen Reiseführer und jede Menge Wasser. Die Fahrt soll von Frankfurt am Main über die Hunsrückhöhenstraße zunächst nach Metz führen. In den Höhen des Hunsrück muss es schließlich etwas kühler sein...
Müsste es...ist es aber nicht. Nach ca. 2 Stunden Fahrzeit halten wir im Schatten eines Baumes und diskutieren 2 Optionen. Möglichkeit 1: Wir wenden die Honda und die GS und parken die beiden den Rest des Wochenendes am nächsten Badesee. Möglichkeit 2: Wir setzten die Reise auf der Autobahn fort. Dabei fahren wir uns zwar die Reifen eckig, aber Fahrtwind bei 130 km/h klingt verlockender als alle paar Kilometer wieder durch ein Dorf ohne Schatten, aber dafür mit vielen Tempo 30 Schildern.
Da der Reiseführer immerhin 15,- € gekostet hat, entscheiden wir uns, die Streckenoption im Navi zu ändern und die nächste Autobahnauffahrt zu suchen.
Herrlich! So aufregend wie eine nächtliche Zugfahrt durch die Schweiz auf ARTE, aber erfrischend wie ein Eis im klimatisierten Kino.
Die nun folgende eintönige Fahrt führt vorbei an Kaiserslautern und Saarbrücken. Wir lassen alle Städte links liegen und haben innerhalb weniger Stunden die Stadtgrenze von Metz erreicht.
Es ist kaum zu glauben? Fährt jeder Franzose Motorrad? In Metz wuseln uns jede Menge Mopeds, Roller und „richtige“ Motorräder um die Gepäckrollen. Vor dem erst besten Café machen wir halt. Auch hier parkt eine Maschine neben der anderen. Hier sind wir richtig!
Nach der Erfahrung, wie herrlich kaltes Wasser schmecken kann und mit dem Hoteltipp eines netten Franzosen in der Tasche, schwingen wir uns wieder in den Sattel.
Zwei Einzelzimmer in der Hochsaison? Kein Problem, wenn einen 90,-€ pro Zimmer ohne Frühstück nicht abschrecken! Den beeindruckenden französischen Hotelstandard werden wir auf dieser Reise aber erst noch richtig kennenlernen. Es ist also noch viel zu früh den Kopf über das schmale Bett, das winzige Bad und den Verkehrslärm auf der Hauptstraße zu schütteln.
Aber was soll s`? Wir sind ja nicht in Frankreich um auf dem Zimmer zu sitzen, sondern stürzen uns erst mal ins Nachtleben von Metz. Und das ist genau so, wie man sich das in Frankreich vorstellt. Die Wärme hängt wie eine Glocke über der Stadt. Jeder einzelne Tisch in den Straßencafés ist besetzt. Liebespaare schlendern durch die Straßen und auf der Avenue de la Victoire spielt eine Kapelle alte französische Lieder, so dass man denken könnte, in einem Film aus den 30er Jahren gelandet zu sein. Zum Glück sehen wir die Stadt noch immer in Farbe und nicht in schwarz-weiß. Also schnell einen freien Tisch gesucht, eine Flasche >Vine Rouge< bestellt und für den Rest des Abends Teil dieser Kulisse werden.
Der nächste morgen beginnt früh. Bevor wir uns weiter machen in Richtung Verdun wollen wir die Stadt erkunden und ein paar Aufnahmen machen. Das geht natürlich am besten im Morgenlicht und wenn noch nicht so viele Passanten auf den Straßen unterwegs sind. Aber erst einmal beginnt der Morgen mit einer ausgiebigen Polizei Kontrolle. Ohne darüber nach zu denken, zücke ich die Kamera als ein Polizeiauto an uns vorbei fährt. Prompt halten die beiden netten Herren in Uniform an, lassen sich unsere Papiere zeigen und kontrollieren jedes Foto auf den Kameras. Nach einer viertel Stunde sind sie aber davon überzeugt, dass wir nicht zu Al Kai da gehören und lassen uns mit einer freundlichen Verwarnung weiter ziehen. Glück gehabt. Das hätte auch ein langer Vormittag auf einem gemütlichen französischen Polizeirevier werden können.
Jetzt aber wirklich ab zum Sightseeing. Unser Rundgang beginnt mit >Temple Neuf>, einer beeindruckenden Kirche, die Mitten in der Stadt auf einer kleinen Moselinsel liegt. Durch Form und Lage erinnert sie an ein Schiff auf dem Fluss.
Alle Sehenswürdigkeiten in Metz liegen sehr nah beieinander. So können wir die Motorräder stehen lassen und müssen nur eine kleine Brücke überqueren und stehen vor der Kathedrale >St. Etienne<. Ein monumentales Bauwerk aus dem Jahr 1250. Den interessierten Touristen erwarten hier Kirchenfenster aus dem 14. Jahrhundert und eine kleine Schatzkammer. Die kühlen Temperaturen und die Ruhe im Inneren verleiten uns zum Verweilen. Aber da wir heute noch einiges vorhaben, reißen wir uns los und setzen unsere Runde fort.
So machen wir aus dem Stadtrundgang eine Stadtrundfahrt. Die Straßen sind noch immer leer. Frankreich scheint noch fest zu schlafen. Herrlich nur im T-Shirt zu fahren. Die schweren Motorradjacken fest verzurrt heben wir uns für später auf, wenn die Reise wieder über Land führen wird.
Wir entschließen uns, einige mittelalterliche Bauten zu besichtigen, die lt. Reiseführer einen kurzen Abstecher wert sind. So führt uns unser Reiseleiter aus Papier zur >Porte des Allemands< Das beeindruckende Tor war einst Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung . Die Türme stammen aus dem 13. und 15. Jahrhundert man würde sich nicht wundern, wenn von ihren Zinnen ein Burgfräulein winken würde.
Metz hat eine Vielzahl von gut erhaltenen Teilen aus der mittelalterlichen Stadtbefestigung zu bieten. So liegt auf unserer Runde noch der >Tour de la Sorciere<, der im 16. Jahrhundert als Hexenturm diente. Hätte man uns vor fünfhundert Jahren auf unseren röhrenden Hexenbesen gesehen, wäre uns bestimmt ein Plätzchen im Turm sicher gewesen.
Aber eigentlich haben wir uns ja durch die hochsommerliche Hitze gequält, um uns wesentlich jüngeren Geschichtlichen Ereignissen zu widmen.
Also verlassen wir etwas wehmütig diese beeindruckende Stadt und machen uns auf den Weg nach Verdun. Diesmal natürlich nicht über die Autobahn. So warm kann es gar nicht sein.
Da wir uns ja auf den Spuren des 1. Weltkriegs bewegen wollen, wählen wir den ehemaligen Aufmarschweg der französischen Streitkräfte um die knapp 80 Kilometer hinter uns zu bringen. Die >Voi Sacreé<, der Heilige Weg, führt von Bar-le-Duc nach Verdun. Im Sommer 1916 wurden über diese Straße jede Woche 90.000 Menschen und 50.000 Tonnen Versorgungsgüter an die Front gebracht. Heute führt diese Straße zum Glück ganz friedlich durch endlose Weizenfelder. Aber die Fahrt gibt Gelegenheit darüber nachzudenken, was in den Köpfen derer, die diese Straße vor bald 100 Jahren befahren haben, vorgegangen sein muss.
In der Mittagszeit erreichen wir die ersten Ausläufer dieser furchtbaren Schlacht, die vom 21.Februar 1916 bis zum 20.Dezember 1916 ohne wesentliche Verschiebung des Frontverlaufs wütete. Die unzähligen Soldatenfriedhöfe, an denen die Fahrt vorbei führt macht deutlich, was 800.000 Tote auf beiden Seiten innerhalb von 11 Monaten bedeuten.
Unser Ziel ist Fort Vaux. Das Fort gehörte zu den französischen Verteidigungsanlagen von Verdun und wurde im Lauf der Schlacht schwer umkämpft. Als Teil einer 40 Kilometer langen Verteidigungslinie war es eine der stärksten Befestigungsanlagen im Festungsring um Verdun.
Trotz der Hochsaison ist der Parkplatz vor der Festung fast leer. Die sengende Hitze hält wahrscheinlich den geschichtlich interessierteren Touristen davon ab, sich auf den Weg zu machen.
Die nette französische Dame an der Kasse gibt uns in perfektem Deutsch den Tipp, dennoch besser unsere Jacken zu holen. In den tiefen der Katakomben und Gewölben ist es selbst an einem Hochsommertag bitterkalt. So steigen wir die klaustrophobisch engen Gänge über endlose Stufen hinab. Kaum zu glauben, wie hier 500 bis 800 Männer leben konnten. Über den so genannten Hauptgefechtsgang kann man sich noch heute die Schlaf- und Waschräume, die Küche und das Munitionsdepot ansehen. Ausrüstungsgegenstände vermitteln den Eindruck, der letzte Soldat hätte eben erst die Kasematten verlassen.
Nach ausgiebiger Besichtigung wird es nun aber Zeit sich eine Unterkunft zu suchen. Das gelingt uns trotz Hochsaison auch relativ schnell... Und genau das hätte uns zu denken geben müssen. Ein Hotel, dass an einem Augustwochenende ohne Probleme zwei Zimmer zur Verfügung stellen kann. Aber da unsere Herberge von außen einen sehr netten Eindruck macht, tappen wir mit offenen Augen in die Falle. Im Inneren erwarten uns Zimmer von der Größe eines Schuhkarton. Die Betten so durch gelegen, dass man bis auf den Boden einsinkt. Das ganze gekrönt mit einem Fenster, dessen Größe stark an die zuvor besichtigten Schießscharten erinnert.
Nun denn...Die französische Küche wird uns dafür entschädigen. Denken wir... und begeben uns nach einer schnellen Dusche in das Hotelrestaurant. Da uns unserer Schulfranzösisch mal wieder im Stich lässt, nutzen wir gerne die ins deutsche übersetzte Speisekarte. Nach zwei Portionen >überfahrene Ente in der Straßendecke<, die übrigens so schmeckt wie sie sich anhört, ziehen wir uns schnell auf unsere Zimmer zurück. Am nächsten Morgen soll es früh los gehen und nur wenige Motorrad Kilometer liegen vor uns. Dafür um so mehr Kilometer zu Fuß.
Die Kühle des frühen Morgens ausnutzend führt unser erster Weg zum >Museum von Fleury<. Das Museum liegt mitten auf dem zentralen Schlachtfeld. Schon die Ausstellung von Kanonen und Fahrzeugen vor dem Museum ist wirklich beeindruckend. Es kommt einem sofort der Gedanke, dass dieses schreckliche Gemetzel zu einer Zeit statt gefunden hat, als man kaum in der Lage zuverlässige Fahrzeuge zu bauen. Aber für tot bringende Waffen hat der Erfindergeist allemal gereicht.
Im Inneren des riesigen Museums gibt eine Vielzahl von Schaukästen und Informationstafeln erschöpfend Auskunft über das Leben, aber auch über das Sterben an der Front. Einer der interessantesten Teile der Ausstellung ist die Nachbildung eines Teiles des Schlachtfeldes. Die Zerstörung des >Niemandslandes< zwischen den Schützengräben, die Enge der Gräben und der grauenhafte Zustand der Unterstände hinterlassen einen sehr realistischen Eindruck der Schlacht.
Sehr nachdenklich machen wir uns auf den Weg um nun das eigentliche Schlachtfeld zu besichtigen. Es existieren verschiedene Rundwege, die an historisch interessanten Punkten vorbei führen. Der von uns ausgesuchte Weg führt zum Teil an verfallenen Unterständen und an Schützengräben vorbei, die langsam aber sicher den Kampf gegen die Natur verlieren und für immer verschwinden. Viele Warnschilder am Wegesrand weisen darauf hin, wie gefährlich es ist, die markierten Wege zu verlassen. Selbst bald 100 Jahre nach Ende des 1. Weltkriegs befinden sich noch immer Granaten und Munition im Erdreich, die auch nach so langer Zeit nichts von ihrer Gefahr verloren haben. An manchen Stellen sieht man mit bloßem Auge verrostete Munition und andere Ausrüstungsgegenstände liegen. Man hat es nie geschafft alles zu beseitigen. Allerdings sollte man sich hüten ein „Souvenir“ aufzuheben und mitzunehmen. Die Verwaltung versteht hier keinen Spaß und alle weiteren Diskussionen können im Anschluss mit der französischen Polizei geführt werden.
Langsam wird es auf dem offenen Gelände, auf dem sich selbst heute Bäume und Büsche noch mit dem Wachsen schwer tun, unerträglich heiß. Aber zwei Besichtigungen stehen noch auf unserem Programm. Der >Graben der Bajonette< und das >Beinhaus von Douaumont<.
Der Graben der Bajonette ist ein Mausoleum. In dem verschütteten Schützengraben sollen der Legende nach die Soldaten des 137. französischen Infanterie Regiments am 12. Juni 1916 aufrecht stehend verschüttet worden sein. Noch heute ragen ihre Bajonette aus dem Graben! Ob er das Wirklich geschehene kannte, von der Legende oder seinem Besuch auf dem Schlachtfeld gerührt war ist heute unbekannt. Jedenfalls finanzierte 1920 der amerikanische Bankier George T. Rand dieses faszinierende Denkmal.
Den Tag abschließen wollen wir mit der Besichtigung des Beinhauses von Douaumont. Das Bauwerk besteht aus einem 46 Meter hohen Turm in der Form einer Granate, einem 137 Meter langen Säulengang und einer Kapelle. In 18 Nischen des Säulenganges befinden sich jeweils zwei oder drei Granitgruften. Sie enthalten die Gebeine von etwa 130 000 unbekannten französischen und deutschen Soldaten, die während der Kämpfe um Verdun gefallen sind. Über jeder Gruft befindet sich der Name des Teil des Schlachtfelds, auf dem die Gebeine gefunden wurden. Da der Platz nicht ausreichte, musste an beiden Enden des Säulengangs noch eine wesentlich größere Gruft hinzugefügt werden. Kleine Fenster in Bodennähe ermöglichen dem Besucher einen kleinen Einblick in die Gruft.
Ein Tag voller Eindrücke, der sehr zum Nachdenken anregt neigt sich dem Ende entgegen. Wie nutzen die Helligkeit des frühen Abends noch für kleinen Ausritt. Nach soviel ernsten Themen muss jetzt unbedingt eine Portion Fahrspaß her. Es erwartet uns zwar kein Kurven Intermezzo, aber jede Menge kühler Fahrtwind auf gut ausgebauten Landstraßen. Langsam begreife ich, warum gefühlt jeder Franzose ein Motorrad zu besitzen scheint.
Eine Beschreibung des Abendessens lasse ich an dieser Stelle aus. Ich möchte niemanden seine Vorstellungen der französischen Küche zerstören.
Es fällt uns daher zwar leicht unser Hotel am nächsten Morgen zu verlassen, die Gegend Gegend hat uns aber in ihren Bann gezogen. Es gibt noch soviel zu erfahren und zu entdecken, dass die Fülle an Informationen unmöglich in ein Wochenende passt. Wir werden daher bestimmt noch einmal hierher kommen, aber zwei Dinge sind sicher:
Nie wieder bei 40 Grad im Schatten und beim nächsten mal bitte mit dem eigenen Zelt...