Wilder Osten inklusive

3000 Kilometer in 5 Tagen sehen auf der Straßenkarte gar nicht so lang aus. Wie lang die Reise durch die Tschechien, Slowakei und Ungarn allerdings tatsächlich wird, werden wir noch merken oder besser gesagt „spüren“...

 

Natürlich hagelt es vorab die typischen Bemerkungen aus dem Freundes- und Kollegenkreis: „Mit dem Motorrad hin und mit der Bahn zurück“. Aber da man Vorurteile am besten an der Basis prüft, steht der Entschluss schnell fest. Die nächste Tour geht Richtung Osteuropa!–Wie wild es in den ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion tatsächlich ist, wird sich vor Ort entscheiden. Vielleicht auch eine gute Gelegenheit endlich mal mit alten Vorurteilen aufzuräumen...

 

Vom Taunus aus geht es über die Autobahn bis an die Grenze zur tschechischen Grenze . Langweilig wie Autobahnetappen nun einmal sind, aber die ersten 360 Kilometer wollen verbrannt werden.

Einsam und langsam dem Verfall preisgegeben liegt der Grenzübergang bei Cheb (dt. Eger) vor uns. Vorbei die Zeiten, dass hier Pässe eingehend studiert und gestempelt wurden. Die Kontrollstellen sind schon lange unbesetzt.

Ab hier setzten wir die Reise über Land fort und wollen die Autobahn bis zur Rückreise meiden.

 

Der erste Zwischenstopp in Tschechien führt uns ins Egerbecken, in das Naturreservat Soos.

Das Soos-Becken befindet sich nordöstlich des Kurortes Františkovy Lázně im Okres Cheb der Karlovarský kraj im westlichen Tschechien. Zu erreichen ist es über die Ortschaften Třebeň (dt. Trebendorf) und Nový Drahov (dt. Rohr). Rund 200 Mineralquellen finden sich in diesem Reservat. Dazu kommen unzählige Mofetten – Entgasungen unter der Erde oder im Wasser, die imposant aussehen und leider furchtbar nach faulen Eiern riechen... Aber Reisen soll ja bekanntlich auch bilden...Trotzdem überlassen wir den Naturpark nach kurzer Zeit den Baumstreichlern, die sich doch mehr für so ein Naturspektakel begeistern können als wir.

Was uns unterwegs sehr schnell auffällt, sind die ungewohnt niedrigen Preise. Schon mal versucht zu Hause mit zwei Personen für 8,-€ Mittagessen zu gehen? Selbst beim amerikanischen Schachtelwirt mittlerweile ein aussichtsloses Unterfangen. Übrigens Euro – in Tschechien haben wir nicht einmal Tschechische Kronen eintauschen müssen. Bis auf eine Tankstelle wurden überall Euro akzeptiert – Das Tankstellenproblem konnten wir mit der Kreditkarte lösen.

 

Bevor wir den Tag in Kutná Hora beenden, unterbrechen wir die Fahrt noch einmal in Karlovy Vary (dt. Karlsbad). Auf den ersten Blick eine große Touristenfalle mit drei großen „K“ - Kitsch, Kutschen und Kurbetrieb. Nichtsdestotrotz gehört Karlsbad zu den berühmtesten und traditionsreichsten Kurorten der Welt. Die gut erhaltenen Kuranlagen aus dem 18. und 19. Jahrhundert laden den Kurgast zum Verweilen und Promenieren ein. Insgesamt 12 Heilquellen gibt es in Karlsbad – wenn wir nicht auf zwei Rädern unterwegs wären, würde uns die heimliche „13. Quelle“ der Kurstadt aber wesentlich mehr interessieren. In Karlsbad liegt das Stammhaus des „Karlsbader Becherbitter“ - bei uns besser bekannt als „Becherrovka“. Aber ein Besuch der Brennerei würde die Tour für diesen Tag wahrscheinlich unfreiwillig beenden...!

Also raffen wir uns auf und nehmen die letzten 200 Kilometer Landstraße des Tages unter die Räder. Die Qualität des Straßenbelags und die Fahrweise der Tschechen überraschen dabei doch sehr positiv. Wo bleiben da die Vorurteile...?

 

Kutná Horo – Die Kleinstadt in der Nähe von Prag in Mittelböhmen steht seit 1995 wegen ihrer Altstadt auf der Liste der UNESCO-Kulturdenkmäler. Bekannt ist sie in der Motorradgemeinde allerdings Dank Ewan McGregor und Charley Boorman. Eine der ersten Stationen des „Long Way Round“ war die gotische Kirche „Kostel Nanebevzeti P. Marie“ (dt. Kirche Maria Himmelfahrt). In der Kirche und im zugehörigen Beinhaus werden rund 40.000 menschlichen Skelette aufbewahrt, von denen rund 10.000 künstlerisch bearbeitet wurden um Dekorationen und Einrichtungsgegenstände für das Kirchengebäude zu formen.

Sightseeing mit Gruselfaktor – gleich nach dem Frühstück soll unser Tag so beginnen. Die Nacht verbringen wir zuvor im Hotel „U Kata“ in Kutná Hora. Ein empfehlenswertes Mittelklasse Hotel mit Parkmöglichkeit im Innenhof. Das Einzelzimmer mit Frühstück gibt es für 36,- €. Wer eine günstigere Schlafstätte sucht, wird im Ort allerdings auch fündig.

Grusel – Den gibt es früh am nächsten Morgen in der „Knochenkirche“ reichlich.Ob diejenigen, die hier eine letzte Ruhestätte gefunden haben, allerdings daran gedacht haben, für 2,-€ Gebühr einmal besichtigt werden zu können, bleibt fraglich.

Der Legende nach wurde Heinrich, ein Abt des Zisterzienser-Klosters-Sedletz, um 1278 von König Ottokar II. Přemysl von Böhmen mit einer Botschaft nach Jerusalem entsandt. Auf seiner Rückreise brachte der Abt eine Handvoll Erde vom Kalvarienberg mit und verteilte diese über den Klosterfriedhof, der dadurch zu heiligem Boden erklärt wurde. Aufgrund der Pestepidemien in der Mitte des 14. Jahrhunderts (hierdurch zählte der Friedhof bereits etwa 30.000 Tote) und der Hussitenkriege im 15. Jahrhundert, die mehrere tausend Opfer forderten, musste der Friedhof ständig erweitert werden. Der Friedhof wurde Anfang des 16. Jahrhundert verkleinert und die Zisterziensermönche legten in der Kirche die Knochen von 40.000 Menschen nieder. Im Jahre 1870 schuf der Holzschnitzer Frantisek Rint das Inneninventar der Kirche aus den eingelagerten Knochen. So hängt in der Raummitte z.B. ein achtarmiger Lüster, der nahezu sämtliche Knochen des menschlichen Körpers enthält. Unterhalb des Lüsters befinden sich 4 kleine Türme aus jeweils 22 Schädeln. In mehreren Nischen stapeln sich Schädel und Knochen meterhoch.

Aber irgendwann reicht uns das morbide Vergnügen und wir setzten unsere Reise fort. Unterwegs fällt auf, dass ausnahmslos jeder entgegenkommende Biker freundlich grüßt. Eine Geste, die in Deutschland immer mehr in Vergessenheit zu geraten scheint...

 

Einen wichtigen Hinweis zur Navigation geben in Tschechien die Farben der Straßenschilder.

Rote Schilder mit weißen Zahlen weisen auf eine Autobahn hin.

Dunkelblaue Schilder mit weißen Zahlen stehen für eine Straße der „1.Klasse“. Diese sind hauptsächlich für den Fern- und internationalen Verkehr gedacht. Es werden hierfür die Nummern 1-99 verwendet.

Hellblaue Schilder mit weißen Zahlen („2. Klasse) sind für den Verkehr zwischen den einzelnen Bezirken vorgesehen. Auch zu erkennen an den Nummern 101 bis 999.

Straßen der „3. Klasse“ sind nicht besonders gekennzeichnet und sichern die Verbindung zwischen einzelnen Gemeinden.

Tipp: Routen in Tschechien am besten zu Hause am PC planen. Steuert man vor Ort per Navi, mit Hilfe der Funktion „Autobahn vermeiden“, findet man sich schnell auf langweiligen Schnellstraßen der „1.Klasse“ wieder.

 

Die nächste Etappe führt uns in das ca. 170 Kilometer entferne Slavkov u Brna (dt. Austerlitz). Aber nicht die Stadt selbst hat unser Interesse geweckt, sondern das etwas außerhalb der Stadt gelegene Schlachtfeld, das am 02.Dezember 1805 traurige Berühmtheit erlangte, als Napoleon I. von Frankreich die österreichischen Truppen unter Kaiser Franz und die russischen Truppen unter Zar Alexander dem I. besiegte.

Von der Stadt Austerlitz aus, findet man die ca. 15 Kilometer vor der Stadt gelegenen Denkmäler am einfachsten, indem man den braunen Schildern mit dem Kanonensymbol folgt. Vor Ort kann man gegen 0,50 € Gebühr auf einem kleinen Parkplatz dann die Pferdestärken anleinen.

Das leicht hügelige Gelände hat sich seit der Schlacht wenig verändert. Bei 30 Grad im Schatten, sind wir für eine ausgedehnte Besichtigung in Motorradkleidung allerdings nur schwer zu motivieren. Daher beschränken wir uns auf den „Grabhügel des Friedens“ (tsch. Mohyla miru) auf dem Pratzeberg (tsch. Pracký kopec). Die vier Statuen des Grabhügels symbolisieren die Gefallenen Frankreichs, Österreichs, Russlands und das mährische Schlachtfeld. Im inneren des Grabhügels befindet sich eine kleine Kapelle mit einem Totenhaus mit den Gebeinen Gefallener. Wer möchte, kann auch noch dem kleinen zugehörigen Museum einen Besuch abstatten. Neben dem Verlauf der Schlacht werden hier zeitgenössische Waffen und Ausrüstungsgegenstände gezeigt.

Langsam wird es für uns Zeit Tschechien zu verlassen. Auf der Route Richtung Osten steht als nächstes die Slowakei auf dem Programm. Es fällt uns bereits kurz hinter der Grenze (auch hier will seit langer Zeit niemand mehr unsere Pässe sehen) auf, dass die Slowakei ganz anders werden wird als Tschechien. Die Landschaft wird wesentlich grüner und die Gegensätze werden größer. Auf unserem Weg in die „Hohe Tatra“, treffen wir auf einer kleinen Nebenstrecke gleichzeitig auf einen Schäfer samt Herde und Hund, einen alten Tatra LKW und einen hypermodern ausgerüsteten Rennradfahrer. Auch in den Ortschaften die wir durchqueren finden sich alte, noch aus Zeiten des Ostblocks stammende halb verfallene Häuser, die direkt neben modernen Neubauten stehen. Bis in die Hohe Tatra schaffen wir es heute allerdings nicht mehr. Daher wollen wir nur bis in die Nähe von Demänovska kommen. Das sind gute 300 Kilometer – und auf Slowakischen Landstraßen reicht uns das für einen langen Nachmittag. Da die einzelnen Gemeinden für die Straßen zuständig sind, wechseln sich haarsträubende Schlaglochpisten, in denen man einen Kleinwagen versenken könnte, mit perfekt geteerten Straßen ab. Die Waghalsigkeit der Slowaken beim Überholen ist kaum zu beschreiben. Es scheint ganz einfach. Die Regel heißt: „Der Stärkere gewinnt“. Ich kann meinen Augen kaum trauen, als auf einer in beide Richtungen stark befahrenen Landstraße der vor mir fahrende Autotransporter mit Anhänger plötzlich links zum Überholen ausschert und den Gegenverkehr auf den unbefestigten Seitenstreifen zwingt. Welche Rolle man als Motorradfahrer in diesem Szenario spielt kann sich wohl jeder vorstellen...

Kurz vor Demänovska finden wir ein kleines Motel am Straßenrand. Das Zimmer für 18,50 €. Da kann man wirklich nicht meckern. Gut ausgeruht setzen wir am nächsten Morgen unsere Fahrt in die Hohe Tatra fort.

 

Tipp: Für ältere Motorräder finden sich in der Slowakei immer wieder Tankstellen die Benzin mit 99, 100 oder 102 Oktan anbieten.

 

Strebske Pleso (dt. Tschirmer See) ist unser Tagesziel in der Hohen Tatra. Der Weg dorthin führt durch kühle dichte Nadelwälder. Lange Zeit sind wir die einzigen Fahrzeuge weit und breit und können die breiten kurvenreichen Straßen voll ausnutzen. Trotzdem ist Vorsicht geboten. Immer wieder trifft man auf große Schlaglöcher, die versuchen die Maschine aus der Bahn zu katapultieren. Rollsplitt in den Kurven verhilft dem Adrenalinspiegel zusätzlich zu ungeahnten Höhen.

Je höher wir in die Hohe Tatra fahren, desto mehr ähnelt das Panorama den Alpen. Die höchste Erhebung hat beeindruckende 2655 Meter. Der Tschirmer See empfängt uns in 1346 Meter Höhe und entstand durch das Schmelzen eines nicht mehr existenten Gletschers. Er ist an 155 Tagen im Jahr mit Eis bedeckt und verfügt über keinen überirdischen Zu- oder Ablauf. Das in der Nähe liegende gleichnamige Wintersport- und Kurgebiet passt sich gut in die Landschaft ein. Tourismus auf die sanfte Art. Auf der Karte locken schmale, zum Teil unbefestigte Wege, die weiter in höhere Lagen der hohen Tatra führen. Das wollen wir uns eigentlich nicht entgehen lassen. Leider müssen wir an allen Einstiegen feststellen, dass das motorisierte Befahren überall verboten ist. So müssen wir die interessanten Strecken leider den Wanderern überlassen...

 

Weiter geht unsere Reise. In unserem Roadbook lockt Ungarn und damit die Puszta. Rund 300 Kilometer bis zum Hortobágy Nationalpark liegen vor uns. Anfangs kommen wir in Ungarn auf gut geteerten Straßen gut voran. Die Landschaft wechselt im Vorbeiflug von Nadel- zu Laubwäldern. Bis plötzlich die Steppe beginnt. Die Landschaft wird öde und die Vegetation wird spärlicher. Der Weg nach Hortobágy scheint endlos. Übersetzt heißt Puszta „Einöde“. Ein Name, den die Gegend verdient. Nur ab- und zu ein paar Pferde oder Störche lenken uns beim Fahren ab. Dabei wurden in den letzten Jahren große Teile der Puszta kultiviert und für den Ackerbau nutzbar gemacht. Die wirklich ursprüngliche unveränderte Puszta soll aber noch im Nationalpark Hortobágy zu finden sein. Und tatsächlich – im ersten und größten Nationalpark Ungarns bestimmen auf einmal Rinder und Schafe das Landschaftsbild. Auch die typischen Pferdefuhrwerke sind zu sehen. 82.000 Hektar groß ist der Park und wurde 1999 in das Welterbe aufgenommen. Für Vogelliebhaber ist der Park ein Eldorado. 90% der einheimischen Vogelarten kommen hier vor. Viele seltene und streng geschützte Tierarten sind hier zu finden. Uns interessiert aber mehr eine Unterkunft für die Nacht zu finden. Hier draußen ein nicht ganz so einfaches Unterfangen. Fündig werden wir auf dem Campingplatz Ökutura Vendégház. Das einfache Zimmer mit viel Ostblock Charme im Hauptgebäude des Campingplatzes kostest 24,-€ pro Nacht – ohne Frühstück. Aber wählerisch sein, kann nur der, der auch eine Wahl hat.

 

Tipp:  Auch in Ungarn wird der Euro überall akzeptiert und wir können uns das lästige Geldwechseln sparen.

 

Für das letzte Abendessen, vor dem Beginn der Rückreise, haben wir uns ein ganz besonderes Gasthaus gesucht. Die Hortobagy Tscharda ist das älteste Gebäude der Puszta und das wertvollste Baudenkmal unter den ungarischen Gasthäusern des 17. Jahrhunderts. Die Stadt Debrecen erbaute hier 1699 das erste Gasthaus für durstige und müde Reisende. Das mehrfach renovierte Gebäude verkörpert heute stimmungsvoll die Schönheit und rustikale Romantik der typischen Tscharda. Auf den ungarischen Stehgeiger beim Essen hätten wir allerdings gerne verzichtet...

Nachdem wir den östlichsten Punkt unserer Reise erreicht haben und uns nur noch gute 150 Kilometer von der Ukraine und Rumänien trennen, wird es am nächsten Morgen langsam Zeit die Rückreise anzutreten. Unspektakuläre, aber dafür viele Autobahnkilometer liegen vor uns. Der Weg führt über Budapest und Wien – um das ganze noch interessanter zu gestalten, ab Wien sogar im Dauerregen. Eine Zwischenübernachtung legen wir in der Nähe von St. Pölten in einem kleinen Gasthaus ein. Stilecht dürfen unsere Motorräder hier bei den echten „Pferdestärken“ im Stall übernachten...

 

Immer an der Donau entlang gönnen wir uns am letzten Morgen unserer Reise noch ein langes Stück Landstraße in Österreich, bevor wir in Passau für die Schlussetappe wieder auf die Autobahn wechseln.

Erschöpft, mit vielen Eindrücken und mit fast 3000 Kilometern mehr auf der Uhr hat der Taunus uns am späten Abend wieder.

 

Eine lange Fahrt in den Osten Europas liegt hinter uns, aber auch die Erkenntnis, dass der Osten gar nicht so wild ist, wie uns viele glauben machen wollen. Zum Beweis haben wir unsere Motorräder wieder mit nach Hause gebracht...

3000 Kilometer in 5 Tagen
3000 Kilometer in 5 Tagen
Knochenkirche in Kutna Hora
Knochenkirche in Kutna Hora
Grabhügels des Friedens in Austerlitz
Grabhügels des Friedens in Austerlitz
Strebske Pleso (dt. Tschirmer See) ist unser Tagesziel in der Hohen Tatra.
Strebske Pleso (dt. Tschirmer See) ist unser Tagesziel in der Hohen Tatra.
Fuhrwerk in Ungarn
Fuhrwerk in Ungarn
Typische Dorfstrasse in Ungarn
Typische Dorfstrasse in Ungarn
Du willst die Tour selbst fahren? Hier findest Du die zugehörigen Daten für Dein GPS Gerät:
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